Copyright - Alle Rechte bei: Alois F. Kopp - 2002

Louis Fredrick

The Spirit   of Ahab


Briefe an Sophia


Vorwort

Es gab eine Zeit in meinem Leben, in der meine Welt, wie  sie mir vertraut war, aufhörte zu existieren.

Es gab eine Zeit in meinem Leben,  welche die dunkelste war an die ich mich erinnern kann.

Aber, es gab einen Menschen, der da war, einfach nur da war und ihre Anwesenheit, ihr Lächeln gab mir Kraft.

Sie gab mir mehr, als ich beschreiben kann. Dafür liebte ich sie, und wenn diese Zeilen gelesen werden, werde ich sie immer noch lieben.

Ich hoffe, wo immer sie sein mag, dass es ihr gut geht, meine Gedanken werden bei ihr sein.

Dieses Buch erzählt von jenen Tagen, in denen der Himmel meiner Welt von Wolken bedeckt war und von der Sonne, die diese Wolken durchdrang.


~~~


Der

atlantische Ozean


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                        

21°15' West, 46°45'Nord, 26.11., 15:55

Liebe Sophia,

Dieser Brief wird dich wahrscheinlich nie erreichen, möglicherweise wird er nie von irgend jemand gelesen werden und vielleicht ist das auch gut so. 

Warum ich mich aufgemacht habe auf eine Reise ohne Ziele, ein Unternehmen ohne Grund und Ursache?

Ich kann es dir heute, am fünfzehnten Tag meiner Reise, meiner Flucht vor dem was das Schicksal mir bescherte noch nicht sagen. Vielleicht werde ich mir klarer darüber, wenn der Wind des Atlantiks mich streift, die Sonne und die Sterne des Südens Licht in mein Herz bringen.

Frage mich auch nicht, warum ich diese Zeilen nicht an Leonie, meine Frau, richte, sondern an dich, die ich kaum kenne. Vielleicht, weil du mir schon bei unserer ersten Begegnung vertraut warst, den Ort unseres Zusammentreffens für mich zur Heimat machtest. Ich erinnere mich noch, wie du da standest, mit einer Schachtel mit Einkäufen und ich es wagte an dich ein paar Fragen zu richten. Du hättest mich abweisen können, mich ignorieren, doch du standest mit deinem Karton da und gabst Antworten und hast gelächelt.

Irgendwie war es als hätte ich einen Freund gefunden nach langen Jahren, es war eine Vertrautheit in deinem unbekannten Gesicht, eine Sanftheit, nach der ich mich - wie ich heute weiß - immer sehnte.

Es weht ein kalter Wind über den Ozean, auch in mir hat die Kälte Besitz ergriffen, nur der Gedanke an dein Lächeln, wärmt mich und lässt dieses fremde Schiff, "The Spirit of Ahab",  ebenso zur Heimat werden wie die fremde Stadt in der ich dir das erste Mal begegnete.  Wie gerne würde ich dir jetzt begegnen, sei es auch nur für einen flüchtigen Blick, einen kurzen Gruß, ein Lächeln von dir.  Aber, und das wird wohl auch Sinn dieser Reise sein, zuerst muss ich wohl mit mir selbst Frieden schließen und mit dem was das Schicksal beliebte mit mir zu spielen, Natürlich, gerade dir würde ich gerne erzählen, was mich veranlasste das Meer zur Heimat für ein paar Monate oder auch Jahre zu machen, allein, ich bin noch nicht bereit meine Gefühle, meinen Schmerz, aber auch meine Freude mit dir zu teilen. Nicht, weil ich dir nicht vertraue, sondern, weil ich einfach noch keine Worte gefunden habe, die auszudrücken vermögen, dass die Ursache dieser Zeilen nicht die Enttäuschungen der Vergangenheit sind, vielmehr eine Hoffnung, ein Traum in meinem Herzen, den weiter zu träumen ich noch nicht wage, den zu leben es noch der Zeit bedarf, der Zeit die zwei Menschen benötigen um einander nahe zu kommen, einander vertrauen zu können, vielleicht auch lieben zu lernen.

Hier auf den Wellen des Ozeans erscheint das Leben auf dem Lande einfach und leicht zu bewältigen, indessen ist es aber tatsächlich so, dass es um Vieles einfacher ist dieses Schiff durch einen Sturm zu segeln, als die Stürme des Herzens und die Wellen des Lebens zu umschiffen.

In Zuneigung

Leon


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                        

Corvo, 31°06' West, 39°41'Nord, 5.12., 21:17

Liebe Sophia,

Ich bin in Corvo vor Anker gegangen, der nördlichsten und kleinsten Insel der Azoren. Fast 1200 Meilen westlich von Lissabon, inmitten des Atlantik liegt dieses portugiesische Eiland, und der Ort Corvo. Das matte Licht in der Hafenkneipe hier, gibt in etwa meine Stimmung wieder. Die Menschen hier sind freundlich und lachen viel, aber es wirkt auf mich nicht ansteckend. Morgen früh werde ich auslaufen und auch diesen Brief dem Meer übergeben.

Ich denke oft an dich, öfter als an Leonie. Leonie bedeutet irgendwie Vergangenheit, Schmerz, aber auch viel gewesenes Glück und wohl auch Sicherheit, in bestimmtem Maße. Du bist in meinen Gedanken die Zukunft, die Freude, aber auch Unsicherheit. Ich weiß, angesichts dessen, dass wir einander kaum kennen, mag es unvernünftig klingen von Zukunft zu sprechen. Nun, es sind die Träume eines Seemannes, Vorstellungen eines Glücks, das nicht sein wird, nur entfernt und möglicherweise sein könnte, irgendwie, irgendwo, mit irgendwem, vielleicht...

Ich dachte immer von mir selbst, es gäbe keine Situation, der ich nicht gewachsen wäre, die ich nicht bewältigen könnte. Jetzt werde ich wohl mit den Grenzen dessen vertraut, was meinem Geist, meinem Verstand zumutbar war. Vielleicht war ich in meinem Weltbild, meiner Sichtweise der Dinge zu überheblich, um zu bemerken, was Leonie fehlte.

Sicherlich wusste ich immer was mir fehlte: Zärtlichkeit, Toleranz in den "kleinen" Dingen des Lebens, auch Gespräche über Philosophie und Psychologie hätte ich mit ihr gerne geführt, - emotionslos, was uns selbst betrifft.  Auch einfach nur geliebt zu werden, ohne Wenn und Aber.

Erwartete ich mir da einfach zu viel von einer Frau?

Könnte ich mit dir über die theoretischen Dinge des Lebens reden? Streichelst du gerne?  Kannst du ohne Wenn und Aber lieben? 

Irgendwie hätte ich dir diese Fragen stellen sollen, als ich noch in deiner Nähe war, jetzt werden sie irgendwo im Ozean verschwinden. Ich kann nicht behaupten, dass mir dies ganz unrecht wäre, so bekomme ich auch die Antworten nicht zu hören.

Deine Antworten in meinen Gedanken lassen mich eine tiefe Zuneigung zu dir entwickeln, geben mir Kraft und Wärme. Ja, es war wohl die Angst zu hören, was ich nicht hören möchte, die mich dich nie fragen ließen, aber hier, sitze ich nun und die Sterne über mir machen mir bewusst, wie weit weg alles um mich ist.

Selbst, wenn ich mit hundertfacher Lichtgeschwindigkeit reisen könnte, würde ich niemals eine dieser Sonnen aus der Nähe sehen, so weit weg sind sie. So weit weg ist auch Leonie, in gewisser Weise, zu einem Teil ist sie mir vollkommen fremd geworden, sie, die mir näher war als irgend jemand, irgend etwas sonst auf dieser Welt.

Und du, Sophia, bist mir jetzt nahe, näher als irgend jemand sonst.  Und so sehr ich auch überlege, ich weiß keine Erklärung dafür.

In Zuneigung

Leon


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                    

49°45' West, 34°40'Nord, 12.12., 09:21

Liebe Sophia,

Mein Schiff und ich, wir fahren eben über einem Vulkan. "Caloosahatchee Seamount" wurde er getauft und er liegt mitten in der Saragossasee. Die letzten Tage waren anstrengend, starke Winde und hohe Wellen verlangten von mir und dem Schiff das Maximale und auch ich kam kaum zum Nachdenken. Doch seit gestern früh herrscht wieder Ruhe auf See, und eine leichte Brise bläst uns Richtung Südwest. Ich habe lange geschlafen und von dir geträumt. Du hieltest mich in deinen Armen und hast mich gewiegt, ich konnte es spüren. Bei Lichte betrachtet war es wohl nur die "Spirit of Ahab", die mich in meiner Koje auf den Wellen sanft schaukelte. Doch in meinem Traum warst du es.

Und ich kann es nicht leugnen, es war schön in deinen Armen zu liegen und die Welt rundherum zu vergessen. Ich vermisse dein Lächeln, die ganz besondere Betonung in der Stimme, wenn du "Leon"  sagst und auch ...

Obwohl ich weiß, dass diese, meine Reise, nötig ist, um den Frieden in mir wieder zu finden, so habe ich mir doch nie vorstellen können, wie sehr einem ein Mensch, auch, wenn man ihn kaum näher kannte, fehlen kann.  Da wo du bist, warst, war in den letzten Monaten mein Zuhause, so fühlte ich es in mir und jetzt, wo du nicht hier bist, ich dich nicht sehen kann, ist mir selbst dieses mittlerweile bis ins kleinste Detail vertraute Schiff irgendwie fremd.

Ich wünschte mir, die Sache mit Leonie wäre nie geschehen, ein unerfüllbarer Wunsch, ich weiß.

Schon irgendwie merkwürdig, was einen Ort zur Heimat machen kann, oder was einem die Heimat nehmen kann. Als ich das erste Mal, ganz ohne es zu wollen, dachte: "Morgen Abend bin ich wieder Zuhause", da war ich ziemlich überrascht und betrübt, denn es geschah auf dem Weg zu Leonie und ich dachte nicht an mein Haus, in dem ich zehn Jahre mit ihr gelebt hatte, sondern an die Stadt in der ich arbeitete und dein Lächeln, welches mich  in deinen Bann zog.

Ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst, wie es ist, sein Zuhause zu verlieren, ohne dass es beschädigt wurde, ohne, dass es eine wirkliche Grenze gibt, die einen hindern würde dorthin zu gehen und sich daheim zu fühlen. Lediglich eine Grenze im Kopf, eine Mauer aus Gedanken, unüberwindbar wie es scheint. Vielleicht habe ich auch deshalb den Weg auf das Meer gesucht, eine Landschaft ohne Mauern, ohne Grenzen, scheinbar endlos, scheinbar frei.

Genau betrachtet habe ich mir jedoch die Grenzen nur enger gesteckt, jetzt endet die erfühlbare und erfahrbare Welt, den größten Teil der Zeit, an der Reeling der "Sprit of Ahab".  Vielleicht muss man im Leben die Erfahrung machen, dass es keine wirkliche Freiheit gibt, wenn sie nicht in den Gedanken existiert.  Kennst du den Song "Bobby McGee"? An einen Zeile daraus muss ich immer wieder denken: Freedom is just another word for nothing left to loose - Freiheit ist nur ein anderes Wort für Nichts mehr zu verlieren." Ich weiß mittlerweile, dass ich, kurz nachdem ich das mit Leonie erfahren habe, so frei war wie nie zuvor in meinem Leben, und ich wünschte, ich hätte dir damals sagen können, was ich für dich empfinde, was du für mich bedeutest.  Ich weiß eigentlich nicht, warum ich es nicht getan habe, war es die Angst zurückgewiesen zu werden, wollte ich dich nicht damit belasten, oder habe ich nur nie gelernt meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen?  Wenn ich hier jetzt am Bug sitze, mit einem Blatt Papier in der Hand, Hunderte von Meilen rundherum nur salziges Wasser und meine Gedanken an dich, dann muss ich eingestehen, dass diese Reise, das erste und einzige wirklich Unvernünftige in meinem Leben darstellt, das ich je gemacht habe. So gesehen vielleicht ein Erfolg, ein kleiner Sieg über meinen Verstand. Die Frage bleibt, ob es wirklich ein Erfolg ist, oder ob es so wird wie bei Leonie, und ich es bereue.

Warum schaffe ich es nicht einfach zu leben, ohne nach zu denken was sein könnte, ohne die Folgen ab zu wägen?

Weißt du was ich mir mittlerweile am Meisten wünsche?

Eine Stunde ohne Gedanken, eine Stunde in denen ich nur aus einem Körper, aus Gefühlen, aus Leidenschaft bestehe.  Eine Stunde in denen ich einfach nicht nachdenke, mich nicht selbst beobachte bei dem was ich tue.  Eine Stunde in meinem Leben, in der es mir vollkommen gleichgültig ist was geschieht, was irgendjemand denken könnte, in der jegliche Konventionen vergessen sind. Eine Stunde, die wie jene Sekunden sind, wenn ich dich nach ein paar Tagen wiedergesehen habe, wo Arbeit, Menschen, andere Gedanken einfach der Freude gewichen sind, dein Lächeln zu sehen und du hast immer gelächelt...

In Zuneigung

Leon

The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                        

Hamilton, 64°47' West, 32°18'Nord, 24.12., 17:38

Liebe Sophia,

Günstige Winde brachten mich heute früh an die Küsten der Bermudas, so kann ich Weihnachten an Land verbringen, zwar ohne Tannenbaum, aber immerhin mit einigen Kerzen auf einer Palme. Die Takelage hat einigermaßen gelitten und müsste überholt werden, vielleicht verbringe ich auch Neujahr hier. Was mir hier fehlt ist Schnee, aber bei 13 ° kann man das nicht erwarten.

Fast 4500 Meilen und über einen Monat von der Heimat, von den Menschen die man liebt und das an einem Tag wie diesem, da spürt man die Bedeutung von Heimat richtig, - Ich denke Heimat, zu Hause, ist ein Ort, wo Menschen sind, die einen mögen und brauchen, so empfinde ich es jedenfalls hier, mitten im Nirgendwo der Welt.  Gebraucht werden, ich meine, das ist das Geheimnis des persönlichen Glücks. Freilich braucht mein Schiff seinen Kapitän, aber auch ein anderer Skipper könnte diesen Platz ausfüllen, aber einen Vater kann kaum jemand ersetzen. So Vieles kann einfach niemals getauscht werden, niemals ersetzt werden. Verlorenes Vertrauen, - kann man es wieder finden, wieder herstellen? Könnte ich einem Steuermann, der die "Spirit of Ahab" gegen Klippen navigiert, jemals wieder vertrauen? Kann ich Leonie irgendwann wieder vertrauen?

Ist es eine Frage der Zeit, oder eine Frage des Willens?  Kann ich überhaupt jemals wieder einem Menschen, einer Frau, so vertrauen wie zuvor?

... In meinen Gedanken kann ich dir vertrauen.  Diese Reise, die ich unternehme hat noch lange kein Ende, ich fühle, dass es eine Reise wird, die das Leben schreiben wird, oder meine Träume, oder beides zusammen. 

Komisch, aber gestern war mir, als ob du auf dem Schiff gewesen wärst, kurz nur, als ob dein Schatten an der Wand der Kombüse zu sehen gewesen wäre, als ob ...

Ich denke, der Landurlaub bis nach Neujahr wird mir gut tun, Das Schiff, trägt seinen Namen vielleicht zu Recht. Nur der weiße Wal lebt nicht im Wasser, sondern in mir.

Kennst du das Gefühl, wenn du unterwegs bist und einerseits umkehren möchtest, zurück in die Heimat, zu den Menschen, die du liebtest, und dich dennoch eine Kraft in die Ferne zieht. Es entscheidet immer der Augenblick, ein Sonnenuntergang, der Ruf einer Möwe, das Land am Horizont über den Fortgang der Reise, die Richtung die man einschlägt, oder sind es nur Vorwände um den Realitäten der Heimat nicht in die Augen sehen zu müssen?

Viele Fragen dieses Mal in diesem Brief, aber du wirst sie nicht beantworten müssen, können, - vielleicht kennt das Meer die Antwort...

In  Zuneigung

Leon


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                        

Hamilton, 64°47' West, 32°18'Nord, 9. 1., 6:30

Liebe Sophia,

Ich bin noch immer in Hamilton, verdorbener Fisch fesselte mich an die Kajüte und hohes Fieber war tagelang mein Begleiter. Aber trotz aller Schmerzen und Unannehmlichkeiten, waren es die schönsten Tage seit Langem, denn du warst bei mir. Keine Sorge, ich bin nicht verrückt geworden.

In meinen Fieberphantasien, saßen wir einander gegenüber und sprachen ein wenig über uns, das Leben. Nicht genug um einander wirklich kennen zu lernen, aber dennoch vertraut genug, um eine leise Ahnung zu bekommen, wer wir sind, was uns bewegt. 

Einen kurzen Blick habe ich in dein Herz machen dürfen. Auch dir scheint diese Welt zu eng zu sein, aber glaube mir, auch hier nach 4000 Meilen hoher See, gibt es die Freiheit nicht, die man so gerne finden würde. Immer mehr beweist sich mein Glaube, dass es nicht Grenzen aus Stahl, Flüsse voll mit reißenden Fluten, Meere oder die unendlichen Weiten des Alls sind, die uns trennen, die und beengen, uns den Weg versperren sondern die Schranken im Kopf, Barrieren aus unserer Kindheit und oft auch nur ein paar wenige ungesagte Worte.  Nicht einmal in den Gedanken des Fiebers wagte ich zu sagen, was ich empfinde.

Freilich, in Umschreibungen, in Gesten und Stimmlagen mag es hörbar sein, mag es fühlbar sein, aber verlangt nicht jeder nach Sicherheit?

Fast bin ich versucht noch ein Mal schlechten Fisch zu essen, um diesen Fiebertraum zu verlängern, um das Ungesagte zu sagen, um das Schicksal heraus zu fordern, aber es bliebe doch nur eine Vorstellung, eine Fiktion.

In wenigen Stunden werde ich den Anker lichten und mich vom Wind treiben lassen, wohin auch immer das Meer, die Mächte des Universums und mein Unterbewusstsein mich führen werden.  Und ich weiß, dass du bei mir sein wirst, egal wo mein unbekanntes Ziel sein wird, ich trage dich in meinem Herzen, dein Lächeln, deine Stimme, deine Blicke.  Mir kommen ein paar Zeilen in den Sinn, die ich vor vielen Jahren schrieb.

Durch die Jahre getaucht,

über Menschen gestolpert,

Das Leben hinter mir gelassen,

neuen Küsten entgegen.

Wanderer im Fluss des Lebens,

Ungewisses entdecken,

laufen, fallen, aufstehen,

laufen, ... nein! - Halt!

Stehen bleiben und

dennoch nicht sterben,

Was es sein lässt?

Der Genuss, der Schlaf;

Höre, fühle, siehe, verstehe

die Liebe.


In Zuneigung

Leon


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                        

Sombrero, 63°26' West, 18°36'Nord, 20. 1., 12:08

Liebe Sophia,

Gestern Abend habe ich Sombrero entdeckt, oder eigentlich nur gefunden. Diese kleine Insel, auf der es nur ein paar Bäume, Unterwuchs und weißen Sandstrand gibt musste ich erst auf der Karte suchen, sie gehört zu Anguilla das wiederum zu einer Inselgruppe gehört, die den wunderschönen Namen: "Nördliche Inseln über dem Winde" tragen, am Rande des Karibischen Meeres.

Als ich das las, da kam mir meine Kindheit plötzlich in den Sinn, die unbeschwerten Tage im Schutze der Gärten und des Waldes meines Heimatortes. "Nördliche Inseln über dem Winde", das weckt ein Gefühl, welches in mir, im Rückblick, wieder die Sicht auf jene Tage erlaubt, in denen ich mit den Nachbarskindern spielte und mich in die Tochter des Nachbarn verliebte, meine erste große Liebe, mein erster engerer körperlicher Kontakt zu einer Frau. Ich kann wirklich nicht sagen, ob wir je miteinander geschlafen haben, wenn, dann habe ich es vergessen, oder ich habe mir nur vorgestellt es zu tun. Aber dieses einmalige Gefühl, dieser angenehme Schmerz im Bauch, der sich anfühlt, als hätte man Hunger, an den erinnere ich mich genau, und wenn ich jetzt an dich denke, dann spüre ich es auch heute wieder.

Und auch, wenn ich es nicht wahrhaben möchte, ich muss mir eingestehen mich in dich verliebt zu haben.

Eingestehen? Nicht wahrhaben wollen?

Die Jahre mit Leonie haben in mir wohl ein Verhaltensmuster geprägt,  das mich veranlasst jedes Gefühl einer Frau gegenüber, das sich irgendwie nach Liebe anspürt zu verdrängen, nicht in mich zu lassen.  Aber dieses Mal, werde ich es zulassen, es genießen, auch, wenn du nichts davon weißt, Tausende von Meilen weg bist, und dich meine Liebe, ja ich getraue es mir, dies so zu nennen, Liebe,  nie erreichen wird. Auch, wenn ich dir wahrscheinlich in Wirklichkeit nie so nahe sein werde, wie in meinen Gedanken.

Aber es ist, auch und besonders in meinem Alter, schön, wieder die sprichwörtlichen Schmetterlinge im Bauch zu spüren, Hunger zu haben, Hunger nach einem Menschen, einer Frau, Hunger nach deren Nähe, Hunger nach dir in meiner Nähe...

Jetzt weiß ich, was Leonie gefühlt haben muss, warum sie mich so lange Zeit betrogen hat. 

Waren es diese Inseln über dem Wind im Bauch wert? Sind sie es wert?

Ich liege hier in weißem Sand, das Beiboot, mit dem ich an diese Küste gerudert bin schaukelt leicht in den Wellen. Ich lege Papier und Tinte beiseite, grabe meine Hände in die warmen Sandkörner und lasse den dieses sanfte weiße Gemisch aus Kalk und Salz langsam über meinen Körper rieseln. Ich schließe meine Lider, du kommst aus dem Wasser auf mich zu.

Der Sand läuft langsam an den Seiten meiner Brust herunter.

Du streichelst mich.

In Liebe

Leon


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                        

Belle Garden, 60°36' West, 11°13'Nord, 5. 2. 10:22

Liebe Sophia,

Nach 3 Monaten auf See, habe ich Tobago erreicht und heute, hier zwischen Belle Garden und Goodwood, an der Ostküste dieser Vulkaninsel, einen Sonnenaufgang erlebt, wie es in nur hier geben kann. Die Sonne tauchte, von meinem Platz aus gesehen, genau hinter einer kleinen vorgelagerten Insel auf und es war als brenne dieses kleine Stück Land, als wäre es überzogen mit Licht, einer Halbkugel aus Licht.

Als diese halbe Sonnenscheibe genau hinter diesem Stück Land stand, erschien alles zweidimensional, wie ein Gemälde, gemalt mit den Farben eines warmherzigen Gottes.

Ich wünschte du wärst hier gewesen, neben mir, ich hätte den Arm um dich gelegt, du hättest dich an mich gelehnt und wir würden dieses Bild mit nach Hause nehmen, als Etwas, das nur uns gehört. Genau so wie in einem kitschigen Liebesfilm aus den 60er Jahren. Und wenn wir dann steinalt wären, säßen wir auf einer Bank an einem Teich und wir hätten dieses Bild in unseren Herzen und das Strahlen der Sonne könnte ich in deinen immer noch sanften braunen Augen sehen.

Ich habe eine Kerbe in einen Baum hinter mir geschnitten, und wenn das Schicksal es zulässt, dann werde ich mit dir hierher zurück kehren, und du wirst an mir lehnen, meinen Arm um deine Schulter, die Sonne taucht aus dem Meer, entflammt die Insel, verzaubert den Tag und wir werden uns lieben und unser Kind wird ein Kind der Sonne und des Windes sein...

Ich frage mich, was wohl der Mensch, der die Flasche mit diesem Brief finden mag wohl für Gedanken haben wird, wenn er diese Zeilen lesen wird.

Wird er verstehen, was ich zu sagen versuche? Wird er wohl den gekerbten Stamm suchen mit seiner Geliebten und dieses Bild mitnehmen für deren Zukunft?  Wird er lachen, weinen? Kann er vielleicht gar nicht lesen? Braucht er nur die Flasche und wirft den Brief ins Meer und diese Worte, diese Gedanken, diese Gefühle, lösen sich mit der Tinte, mit der sie hier festgehalten sind, in der Gischt irgendeiner Küste auf und verteilen sich in atomarer Dosis rund um die Welt?

Bleibt von dem was mich jetzt bewegt, von meiner Sehnsucht nach dir, deiner Nähe, einst Nichts als verblassende Tinte auf sich auflösendem Papier?

Oder findet ein Mensch diese Zeilen, der die selbe Erfahrung machen musste wie ich, dass im Leben selbst das Unumstößlich geglaubte, das Fundament eines Lebens, nicht länger hält als die Zeit, die ein Kind braucht um erwachsen zu werden? Vielleicht geben ihm meine Sehnsucht, meine Zuneigung, meine Imaginationen neuen Mut.  Vielleicht erkennt auch er den Menschen in seiner Nähe, den er zu lieben vermag, der ihm neue Kraft gibt, der sein Leben wieder lebenswert macht.

Möge auch dir in der Heimat die Sonne direkt in dein großes Herz scheinen.

In Liebe

Leon


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                        

43°19' West, 17°37'Nord, 21. 2., 12:01

Liebe Sophia,

Flaute, seit 2 Tagen kein Lüftchen, die "Spirit of Ahab" steht fast reglos mitten im Atlantik zwischen Südamerika und Afrika.

Auch mein Geist steht fast still. Es fehlt an Bewegung. Ich komme mir verloren vor. Ein Frachter, der am Horizont vorbeizog war unbegründete Hoffung auf Gesellschaft, war Inspiration für ein paar Stunden.

Bananendampfer - Bananenschnitten - Restaurant - köstliches Essen - Kerzenlicht - und Du.

Wir essen und beim Kaffee erzähle ich aus meinem und du aus deinem Leben.

Von meinem Vater, der trank, meiner Mutter die mich liebte. Von deiner Schwester, deiner ersten "Konkurrentin", deinem Hund, der viel zu früh starb. Von meinem Großvater, den ich kaum kannte, von meinem Freund,  den ich wieder einmal sehen möchte. Von deiner Cousine, die du liebst, von deiner ersten Liebe. Von meinem Sohn und seiner Geburt, meinen Emotionen dabei.

Aber das willst du heute Nacht nicht hören, und irgendwie endet dieser Abend kühl.  Der Kaffee hat einen bitteren Nachgeschmack und dein Blick sagt mir, dass ich dir weh getan habe.  Ich könnte mich ohrfeigen.

Die Fahrt nach Hause - Schweigen, Gute Nacht.

Diese Stille hier, mitten im Ozean, nur das gelegentliche leichte Knarren des Bugmastes, die flirrende Sonne im Zenith, bringt mein Denken auf Abwege, lässt die Grenzen zwischen den Menschen, die ich kenne verschwimmen. Ich mache mir einen Universalbekannten, mit dem ich Alles erlebe, Alles berede. Ich bin nicht mehr von dieser Welt, ich bin Gott, der höchste Punkt so weit das Auge reicht. Ich bestimme was geschieht, und niemand sagt oder zeigt mir die Grenzen dessen was möglich ist. Ich schlafe mit ihnen Allen, all den Frauen, die ich abgewiesen habe in meinem Leben, abgewiesen für oder wegen Leonie, ich prügle Leonie, für den Schmerz, den sie mir zugefügt hat. Ich erwische die beiden in Flagranti und verbrenne seine Kleider, schlafe mit seiner Frau, erzähle ihr von all seinen Liebschaften, ich bin zornig, wütend, ich töte sein Kind, das sie geboren hat, ich hacke ihm sein Geschlecht ab.  Ich reiße das Haus ein in dem sie es getrieben haben, mein Haus, zertrümmere die Couch, auf der er sie gefickt hat, verbrenne den Boden auf dem sie ihn gestreichelt und auf dem Fellatio und Cunnilingus statt fanden. Es gibt kein Gut und kein Böse mehr, nur mehr den Hass in mir, den Hass für den Verlust meiner Heimat, meiner Liebe, meines Lebens. Ich verfluche mich dafür ihm vergeben zu haben, ich hasse mich dafür sie nicht sofort verlassen zu haben, ich will nicht mehr der sein der ich bin, möchte meinen Schmerz in die Welt schreien, möchte dass der Blitz sie alle trifft.

Plötzlich wird es gleißend hell. Die Sonne steht am Firmament, ihre Strahlen stechen mir heiß in die Augen. Mein Gesicht ist verbrannt, ich werde munter, gehe unter Deck und meine Tränen durchnässen das Tuch auf dem ich liege.

Niemand nimmt mich in den Arm.

Niemand hört mein Weinen.

Du bist so weit weg.

In Liebe

Leon


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                        

Atlantik, 34°35' West, 18°30'Nord, 26.02., 14:36

Liebe Sophia,

Der Wind kommt von Westen und das Schiff macht volle Fahrt in Richtung afrikanische Küste.

Ich glaube ich weiß jetzt was ich will, wenn diese Reise vorbei sein wird. Zumindest weiß ich, was ich tun werde. Ich werde versuchen meine Träume zu leben.  Ich denke daran wie es wäre, wenn ich dir, all das, was ich fühle von Angesicht zu Angesicht sagen könnte.

Meine Erfahrungen in der Eroberung von Herzen sind aber derart gering, dass ich wahrscheinlich Vieles falsch machen werde. Wenn ich meine Fahrt beendet haben werde, wirst du vielleicht schon Ehefrau und Mutter sein, wirst du die Stadt in der ich dich traf verlassen haben.

Selbst, wenn ich dich ungebunden wiederfinde, so wirst du mich vielleicht nicht beachten, denn du weißt ja Nichts von meinen Briefen, meiner Sehnsucht.  Vielleicht werden dich meine Bemühungen auch abschrecken, wird dir zu viel sein, was meine Gefühle zu dir, mich veranlassen zu tun. Dennoch, ich will dir in deine Augen sehen und dir sagen, dass ich mich all die Jahre auf See nach dir sehnte, selbst, wenn ich es mir selbst nie eingestehen wollte, dass du in mir Gefühle und Emotionen geweckt hast, die ich schon verloren glaubte. Will dir zeigen, dass du mir Sonne und Leben bist. Ich will dir sagen, dass ich dich brauche.

Will dir verständlich machen, dass du mir in den schwarzen Stunden meines Lebens die Kraft und den Mut gabst, die ich brauchte. Ich will dir auch von meinen Hoffnungen und Träumen erzählen, von den Briefen, die ich dem Meer übergeben habe und von dem Baum mit der Kerbe auf Tobago.

All das will ich tun, auch, wenn ich tief in mir fühle, dass es nie eine Beziehung wie ich sie mir erträume geben wird, oder selbst wenn, es eine Beziehung auf Zeit sein wird, mit absehbarem Ende. Doch nur einmal mit dir gemeinsam den Sonnenaufgang auf Tobago sehen, fühlen was ich fühlte, dich lieben zu dürfen für ein paar Stunden, Wochen , Monate...

Phantasie? Die eingebildeten Gefühle eines alten Mannes, über 6000 Meilen weit von der Welt, in der du lebst, entfernt?

Mag sein, nichts desto weniger, meine Gefühle sind real, auch, wenn es die Umstände in denen ich mich befinde nicht wirklich sind. Ich werde dir sagen, dass ich dich liebe, dass ich für dich da sein möchte, wenn du noch da bist, wenn ich zurückkehre. Selbst, wenn du nicht mehr da sein wirst, werde ich es dir sagen. Dann werde ich dir schreiben, dass meine Sehnsucht nach dir real war, dass ich dich gebraucht hätte. Und diesen Brief werde ich nicht in eine Flasche schieben, sondern in ein Kuvert stecken und an dich adressieren.

Ich weiß, dass du mich danach vielleicht nie wieder anlächeln wirst. Ich weiß, dass ich vermutlich damit meine Träume zerstöre, meine Illusion zerbreche, aber meine Gefühle werden bleiben und sie werden ausgesprochen sein und du wirst wissen, dass es, was auch immer kommen mag, einen Menschen geben wird, der in Gedanken bei dir ist, der für dich da sein wird.

Ein Motto meines Lebens lautete immer: "Ganz oder gar nicht", und so wie ich für Leonie, trotz Allem was geschehen sein mag, immer ein Freund sein werde, so  habe ich mich auch für dich entschieden ohne Wenn und Aber.

Das Schicksal und der Tag möge über die Zukunft entscheiden.

Es mag so kommen, dass du dich von mir wendest, mir ausweichst, aber dennoch wirst du wissen, dass es jemand gibt, der dich liebt, dich auch braucht und vielleicht, in 20, 30 Jahren, sehen wir einander wieder, reifer, offener und wenn die Mächte des Universums es wollen, dann entflammt die Insel vor Tobago immer noch jeden Morgen bei klarer Sicht und mit ihr du...

In Liebe

Leon


Die

Küsten

Afrikas


The Spirit of Ahab 

Leon Aslan, Captain

                        

Pico de Cano, 24°23' West, 16°56'Nord, 12.03., 19:10

Liebe Sophia,

Ich ankere vor Fogo, einer Vulkaninsel von Kap Verde. Mein Schiff liegt im Hafen von Porto dos Mosteiros und diesen Brief schreibe ich vom Rand des Vulkans Pico de Cano, auf eben dieser Insel, - Fogo.  Hier, auf über 2800 Metern Seehöhe, auf diesem blaugrauen Kegel aus Lava und Basalt, bin ich der einzige Mensch, Ich weiß nicht, warum ich immer wieder die Einsamkeit suche, warum sie mich immer irgendwie magisch anzieht.

Es hat fast zwei Tagen bedurft hier herauf zu steigen, und es wird noch ein Mal so lange brauchen wieder zurück zum Schiff zu gelangen. Vier Tage der Entbehrungen, Doch irgendwie kenne ich das, dieses Gefühl, es ist mir vertraut. Es ist so ähnlich, wie an den Tagen, in denen ich dich in der Stadt nicht sehen konnte, weil du nicht da warst, oder ich nicht dort war.

Wie der Aufstieg auf diese graue Masse auf Stein, waren mir auch die Tage, an denen ich dein Lächeln nicht sehen konnte, grau, eintönig und beschwerlich, damals zu der Zeit, als mein Leben aus den Fugen war, als du meine Seele und mein Denken ausfülltest.  Ich freue mich schon auf den Abstieg, das Grün der Küste im Blick. Diese Nacht aber werde ich hier oben verbringen, Zwiesprache halten mit einem Gott, an den ich nie glaubte.  Morgen, wenn es zu dämmern beginnt, gehe ich dem Meer entgegen und ich kann mir ausmalen, was ich empfinden werde. Es wird ähnlich sein, wie damals, als ich wusste, dass die Zeit bis ich dich wieder sehe, kürzer sein wird, als jene, die ich dich vermisste. Ich werde mit jedem Meter, den ich bergab wandere fröhlicher, Dann an der Küste wirst du mich erwarten, mich sehen, und kurz nur lächeln, bevor du deinen Weg fortsetzt, zu deinen Pflichten.

Schöner Gedanke, doch ich weiß, dass nur die "Spirit of Ahab" auf mich wartet, gut vertäut, im Hafen und ich werde wieder alleine zu Abend essen, niemand wird mir eine gute Nacht wünschen, so wie du manchmal, wenn ich Nachts manchmal, zufällig, deinen Weg kreuzte.  Nein, das stimmt nicht ganz, denn du wirst mir doch Gute Nacht sagen, denn deine Stimme habe ich, wie dein Lächeln mitgenommen auf die Reise. Sie ist in meinem Kopf, in meinem Herzen. Nur, und das macht mich zuweilen traurig, die Erinnerung daran wird schwächer mit jedem Monat, den ich auf See verbringe. Das ewige Rauschen des Meeres macht die Andenken an die Töne der Heimat langsam zunichte. Um so mehr versuche ich mir jeden Abend, bevor mich die Träume in angenehmere Welten entführen, dein wunderschönes Gesicht vor zu stellen.  Und ich bin sicher, auch heute, wenn ich einschlafe, sind deine klaren Augen der Gute-Nacht-Kuss für meine Seele.

In Liebe

Leon


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                         

Inorei, 15°40' West, 11°17'Nord, 22..03., 11:17

Liebe Sophia,

Direkt vor der Küste Afrikas, in Inorei, einem kleineren Hafen auf den Bissagos Inseln, die zu Guinea Bissau gehören, mache ich Station und lasse den Rumpf meines Schiffes von den Einheimischen vom Bewuchs und den zahlreichen blinden Passagieren, (Muscheln und sonstiges Getier) reinigen. Diese Insel, auf der ich die nächsten Tage zubringe, hat die Form eines Seepferdchens. Du wirst es nicht glauben, aber hier gibt es tatsächlich noch einige Orte wo die Frauen Röckchen aus Stroh oder Bast tragen, ansonsten ist die Kleidung hier sehr farbenfroh, ganz im Gegensatz zur Tristheit mancher Stadtteile.  Hier wird sehr großer Wert auf die Umgangsformen gelegt, die fast schon zu Begrüßungsritualen ausarten.  Das mag ich besonders  an  Reisen und in meinem Leben, den Kontakt zu Menschen und Dingen, die sich abheben von dem, was man so den Durchschnitt, das Normale nennt,  was eben bei uns so üblich ist.

Ich denke, das war es auch, was mich an dir anzog, dass du nicht einer dieser "üblichen" Menschen bist, sondern etwas Besonderes. Vielleicht liegt das auch im Auge des Betrachters, vielleicht kann auch nicht jeder sehen, wenn ihm etwas begegnet, das sich abhebt von dem was das Leben jeden Tag an einem vorüberfließen lässt. Frage mich nicht, was dich für mich außergewöhnlich macht, vielleicht, dass du keine Maske trägst, dich nicht verstellst, nicht lachst, wenn dir nicht danach ist, deine Ehrlichkeit. Ja, ich denke, das mag es sein, Du strahlst Aufrichtigkeit aus.  Ich bin mir, je mehr ich darüber nachdenke, sicher, dass du ein offener Mensch bist, auch, wenn du auf Viele verschlossen wirken magst, in dich gekehrt.  Kann es sein, dass auch du, wie ich, das Besondere schätzt? Menschen die sanft sind, die Worte mit Bedacht wählen, die sich nicht in dein Leben stürzen, sondern vorher anklopfen?

Schon wieder Fragen, die ich verabsäumte dir zu stellen...

Vielleicht willst du aber auch einfach nur so wie Alle sein. Dann würden dich diese Worte jetzt sicher verletzen, oder dich irritieren.

Weißt du, worüber ich mich ab und zu wundere? Über die Fragen, die mir zu einem Menschen in den Sinn kommen, über die Vermutungen, die ich über sein Wesen hege und vor Allem darüber, warum ich, und sicher auch Andere, nicht einfach diesen Menschen nach seinen Empfindungen befragen.  Doch, möglicherweise gehört das zu den, sogenannten, guten Umgangformen, die es mir so schwer machten dich wirklich kennen zu lernen, denn irgendwie habe ich heute das Empfinden, du wärst bereit gewesen mir ein wenig deiner Zeit zu widmen.

Ich hoffe, du bist noch da, wenn ich zurückkehre...

In Liebe

Leon


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                        

Inure, 15°40' West, 11°17'Nord, 29..03., 7:22

Liebe Sophia,

Heute muss ich dir von einem großen Glück erzählen, welches mich im Schlaf überraschte.  Verzeih', wenn die Worte diesmal ein wenig wirr klingen mögen, doch ich bin erst vor fünf Minuten aufgewacht. 

Ich bin wieder geflogen. Es ist wunderbar wieder fliegen zu können, es bedeutet, dass ich etwas überwunden habe, und bereit bin für Neues.

Natürlich bin ich nicht wirklich und real durch die Lüfte gesegelt, doch wie sehr habe ich mir dies gewünscht, in all den vergangenen Jahren und heute Nacht ist es geschehen. 

Ich weiß nicht mehr, wann ich das letzte Mal im Traum die Arme von mir streckte,  ..... sie langsam auf und ab bewege, anfange zu laufen, immer schneller werden meine Schritte, der Schlag meiner "Flügelarme", bis ich vom Boden abhebe, mich wie ein Adler in den Himmel empor schraube, und dann ruhig und ohne Kraftanstrengung hoch über den Wiesen und Wäldern meine Kreise ziehe.

Dieses Gefühl der Schwerelosigkeit kann mit Nichts verglichen werden, man muss es erleben, um es zu kennen, zu verstehen, zu empfinden. Wie gerne würde ich dich mitnehmen auf so einen Flug zu den Wolken, über die Baumwipfel. Wie gerne würde ich dir schreiben, erzählen, wie grenzenlos die Freiheit in diesen Momenten erscheint, doch so sehr ich nach Begriffen suche, es gibt keine Worte, die den Geruch der Luft in diesen Höhen beschreiben könnten, den Geschmack der Regentropfen, den Gesang des Windes in den Ohren, den Druck des Aufwindes auf den Handflächen, die Stimmung, die einen umfängt, beim Flug durch einen Regenbogen. So muss es sein, wenn einem der Mensch, den man in aller Stille liebt, begegnet, so muss es sein, wenn ein Kind geboren wird, so muss es sein, wenn man seinen besten Freund in das nächste Leben geleiten darf, so muss es sein, wenn man zum zweiten Mal in seinem Leben liebt, so muss es sein, wenn man wiedergeboren wird.

So muss es sein, wenn du mich in deine Arme nehmen würdest.

 In Liebe

Leon


The Spirit of Ahab .

Leon Aslan, Captain

                        

Cité de Kassa, 13°45' West, 9°29'Nord, 29..03., 7:22

Liebe Sophia,

Gehst du hier in Guinea an dem Haus eines Freundes vorbei, ohne ihn zu zumindest kurz zu besuchen, dann beleidigst du ihn.  Andererseits zeigen hier Männer und Frauen nie öffentlich ihre Zuneigung, aber Mann und Mann, Frau und Frau hingegen siehst du öfters Arm in Arm auf der Strasse. Schon sehr interessant, wie in anderen Kulturen Umgangsformen sind, aber auch verwirrend. Man ist versucht sich aus den verschiedenen Kulturen das Passende für einen selbst heraus zu nehmen und das in der Heimat zu verwirklichen. Nur, ist es doch so, dass Freiheiten auf der einen Seite meist mit Beschränkungen auf der anderen Seite erkauft werden. 

Erkauft? Der falsche Ausdruck! Bezahlt? Nein.

Getauscht, Genau, ist es nicht so, dass man immer irgendwie sehen muss, für seine Vorhaben, sein Glück, zu tauschen? Tauscht man nicht auch sehr oft, seine eigene Zufriedenheit ein, um einen geliebten Menschen zu beschenken?  Zuerst möchte man seine Eltern zufrieden stellen,  irgendwann den Partner, die Kinder, den Vorgesetzten und vergessen nicht die Meisten gänzlich darauf sich selbst glücklich zu machen?

Aber, kann man wirklich froh leben, wenn man seine Lieben nicht auch erfreut? Wo mag die Grenze sein, wo sollte man tauschen und wo einfach Nein sagen?

War es richtig, dir zu zeigen, dass ich dich mag?

War es richtig von mir, mich mit meinen Worten und kleinen Aufmerksamkeiten in dein Leben zu drängen? War es mein Recht, dich in aller Öffentlichkeit "Stern" zu nennen? War es gut, manchmal zu warten, bis du vorbeikommst um einen Blick von dir zu bekommen und ein Lächeln, nur, weil mich, diese wenigen Sekunden so glücklich machten?

Du hast nie gesagt, ich sollte es sein lassen, du hast immer zurück gelächelt.

Gibt mir das Grund zu denken, du könntest auch mich ein wenig mögen?

Habe ich deswegen einen Anspruch darauf diese Briefe an dich zu richten?

Nein, sicherlich nicht, doch soll ich deswegen meine Gefühle für dich verbergen?

Ach Sophia, ich denke, ich weiß warum Gott uns Arme gab und einen Mund und Hände. Um das Unsagbare, ausdrücken zu können. Um die Antworten in eine Umarmung legen zu können, um die Fragen mit Hilfe eines Kusses zu stellen, um die Unaussprechlichkeit von Zuneigung und Sehnsucht mit den Fingern in den geliebten Menschen zu streicheln. 

Wie sehr wir doch, im Gegensatz zu anderen Kulturen, unseren Tastsinn vernachlässigen,  Wie gern hätte ich doch damals, als wir einander für kurze Zeit gegenüber saßen, deine Hand gehalten, nur kurz, um deinen Puls zu fühlen, deine Wärme, die Linien an deinen Fingerspitzen.

Nur einen kurzen leichten Druck, der dir sagen hätte können, dass ich dich halte, an dem du hättest spüren können, dass es jemanden gibt...

Ich ging ohne eine Berührung, mit der Hoffnung, du hättest auch so verstanden...

Jetzt sind meine Hände hart und rau von den Seilen, vom Salzwasser, vom Segeltuch und selbst jetzt kann ich dein Herz fühlen unter der Haut, deiner Hand.

Wieder einmal haben mich meine Gedanken an dich entführt in eine andere Welt und mir ein Bild in meinem Kopf entstehen lassen, welches ich dem Meer in einer weiteren Flasche übergebe, der zwölften mittlerweile, in der Hoffnung und der Angst gleichermaßen, dass meine Sehnsucht mit den Wellen vergeht.

In Liebe

Leon


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                         

Yele, 12°59' West, 7°35'Nord, 5.04., 14:19

Liebe Sophia,

Ich habe die Turtle Islands vor der Küste von Sierra Leone erreicht.  Hier bekommen Frauen im Schnitt 9 Kinder, von denen oft nur 5 - 6 überleben. So gesehen, darf ich mich glücklich schätzen, dass Leonie jetzt ein gesundes 3. Kind bekommt, auch, wenn es vielleicht nicht von mir gezeugt wurde. Doch was hat schon der Same der zur Befruchtung führte für eine Bedeutung? Es wird mit seinen Brüdern aufwachsen und ich werde ihm Vater sein,  Sicherlich wird es mich, ob von mir oder nicht, immer daran erinnern, dass Leonie ....

Ich denke oft an meine Kinder, und abgesehen von der Tatsache der Ungewissheit des Vaters, des dritten  Kindes macht es keinen Unterschied, ob mich meine Kinder, oder fremde Kinder anlachen. Es liegt eine Aufrichtigkeit im Kinderlachen, eine Ehrlichkeit und ein großes Glücksgefühl. Kinder lächeln einen nicht an, wenn sie einen nicht mögen. Eigentlich wollte ich nie ein drittes Kind, aber jetzt und hier, wo man so viele junge Menschen überall sieht, da wären auch 4 oder 5 nicht zu viel.

Es ist schon seltsam, wie 3 Monate einen Menschen verändern, sein Denken, seine Ansichten, seine Philosophie.

Bevor das Alles geschah, hatte ich in der Stadt viele Kollegen und der Verlust meines Hauses, machte diese Stadt zu meiner Heimat und aus den Kollegen wurden Nachbarn.

Bevor das Alles geschah, bin ich dir ausgewichen, um meine Empfindungen nicht zu stark werden zu lassen, aber der Verlust meiner Liebe machte dich zum Mittelpunkt meines Denkens.

Bevor das Alles geschah, war ich weder glücklich noch unglücklich, ich lebte so vor mich hin, und der Schmerz, den ich erführ, wandelte sich in Glück.

In den vergangenen Monaten auf See habe ich mir oft gewünscht, ich könnte dir ein wenig von meinem Glück mit in die Flaschen geben,  Aber ich weiß, dass dich diese Briefe nicht erreichen werden. Auch das Glück kann man sich nicht aus dem Kopf, dem Körper reißen und es einfach weiter geben. Es entsteht auf geheimnisvolle Art und Weise in den Gedanken und man kann es einfach nicht beschreiben. Wie ein Schutzschild umgibt es mich, umgab es mich ebenso damals, als ich begann dich zu lieben, damals, als du einfach nur fühltest, dass es mir nicht gut ging, als du mich ansahst und sagtest, dass Alles wieder gut werden würde.

Es waren die Worte, die ich hören wollte, auch, wenn ich, tief in mir, wusste, dass Nichts wieder so sein würde wie zuvor.

Dennoch wurde es gut, auf eine Weise, die ich nicht für möglich gehalten hätte, nicht zu träumen wagte in diesen Tagen.

Ich verliebte mich, in jene Frau, die ich seit unserer ersten Begegnung tief in meinem Herzen trug.

Ja, es wurde Alles wieder gut, denn du hast mich fast jeden Tag angelächelt.

In Liebe

Leon


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                         

6°32' Ost, 0°0'Nord, 28.04., 23:52

Liebe Sophia,

Wie du siehst, ankere ich genau am Äquator vor einer kleinen Insel im Süden von Porto Alegre. Sao Tomé und Principe heißt dieses Mal das Land in dem ich für ein paar Tage Gast sein werde....

Ich denke fast den ganzen Tag an dich. Hier irgendwo, irgendwie in der Mitte der Welt, gibt es keine Zeit mehr für mich, keinen Gedanken, in dem du nicht vorkommst, keine Minute ohne dieses wunderschöne und schmerzhafte Gefühl im Bauch, dass mir sagt, ich muss zu dir. Den ganzen Tag scheint die Sonne. Ich blicke zu ihr hinauf und sehe dein wundervolles Gesicht, deine großen Augen. Ich möchte den Blick nicht abwenden und wäre da nicht die Arbeit auf dem Schiff würde ich mich in diesem Schmerz, diesen Bildern verlieren. Jetzt, Nachts, wo das Schiff ruhig im Wasser ankert, möchte ich nur zu dir, doch  es trennen uns Ozeane und Kontinente.  Ich gehe auf der "Spirit of Ahab"  von einem Ende zum anderen, öffne jede Luke, jede Tür und hoffe dich zu finden, wohl wissend, dass du nicht hier sein kannst, und auch wohl nicht hier sein willst.  Ich sehe durch die Bullaugen, suche nach den Lichtern des Schiffes, das dich zu mir bringt.  Jetzt weiß ich, was es heißt: "Sich nach jemandem zu verzehren".

Ich denke jetzt auch manchmal an Leonie und der Gram und der Schmerz sind noch immer nicht verflogen, auch meine Gefühle für sie sind noch nicht wieder da, und wenn ich morgens erwache, dann sehe ich dich, wenn ich abends einschlafe, sind meine Gedanken bei dir, wünschte ich so sehr, dich in meinen Armen halten zu dürfen.  Es ist Fluch und Segen, Himmel und Hölle. Du lässt mich nicht mehr los. 

Ich habe einen Brief für Leonie dem Meer überlassen, in dem ich ihr meine Liebe zu dir offenbarte, in der Hoffnung, dass der Zauber, mit dem ich belegt bin, der Magie, die mich zu dir zieht, wo immer ich dich zu finden vermute, vergehen möge, aber ich bin mir klar darüber, die Büchse der Pandora kann nicht mehr verschlossen werden. 

Ich weiß heute, dass ich diese Reise antrat, um eben dem zu entgehen, um mich von dir zu lösen, um Leonie nicht zu verlassen, um das gewohnte Leben nicht auf zu geben, um meine Empfindungen zu dir nicht übermächtig werden zu lassen. Ich hätte mir nie gedacht, dass es so geschehen würde, dass mit der Entfernung die Liebe stärker und stärker wird, dass, du überall in mir sein wirst, dass ich dich fühlen, hören, riechen kann, mit jeder Faser meines Körpers, mit jedem Atemzug, in jeder Sekunde dieser Nacht und der Nächte, die noch kommen werden.

Leonie hat mich einmal gefragt, ob es so sei, dass ich mich einfach zu dir hingezogen fühle, in deiner Nähe sein möchte? Und schon damals war es so, und heute, jetzt, möchte ich das Schiff wenden und zu dir fahren.

Aber schon damals hast du mir kein Zeichen gegeben, welches mir Hoffnung gemacht hätte, und hier auf dem Äquator kann ich auch keines erwarten.

So werde ich meine Reise morgen fortsetzen und die Winde der Ozeane werden meine Sehnsucht zu dir tragen, irgendwie...

In Liebe

Leon


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                        

Nanda, 9°20' Ost, 0°55'Nord, 7.05., 16:33

Liebe Sophia,

Äquatorialguinea, Isla de Corisco, ich habe keinerlei Lust von Bord zu gehen, muss aber, um Vorräte auf zu nehmen.

Ich erinnere mich an den Tag, an dem ich dir sagte, dass du immer einen Platz tief in meinem Herzen haben wirst, dass du in mir für immer einen Freund haben wirst. Als ich danach wegging habe ich mich selbst gehasst. Damals hätte ich es beinahe getan, hätte ich dir fast gesagt, wie sehr ich dich liebe. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, hat einmal ein Russe gesagt, und genau so verhält es sich. Das wäre der Zeitpunkt gewesen.

Oft denke ich an Tobago und die Sonneninsel.

Nein, ich weiß, dass  es nicht der Zeitpunkt war. Ich erinnere mich genau, ich hatte mich bereits verabschiedet und ging zurück, um dir zu sagen, dass du die Frau bist, die ich liebe, und dann als ich mich dir näherte, rücktest du weg von mir, und ich wusste, dass ich dir zu nahe gekommen war, konnte nicht sagen, was ich wirklich fühlte.  Dennoch, Nichts habe ich seitdem mehr bereut.  Egal, wie auch immer du reagiert hättest,  es wäre Klarheit gewesen. Du hättest enttäuscht sein können,  mich fortschicken,  dann wäre diese Reise, diese Flucht vor meiner Liebe zu dir nicht notwendig gewesen,

Du hättest mich ebenfalls lieben können, dann wäre ich heute vielleicht bei dir.  Du hättest dich von mir abwenden können, dein Lächeln hätte, für mich, für immer versiegen können, dann wäre diese Ungewissheit nicht in mir.  So, aber,  lebe, liebe, begehre ich einen Traum, eine Möglichkeit. Wie eine Wolke am Horizont, die den langersehnten Regen bringen könnte, segle ich einem Traum hinterher oder versuche ihm zu entfliehen, wohl wissend, dass alles, was ich für dich empfinde, stärker sein wird.  Tausende von Meilen, Millionen von Gedanken an dich, von dir entfernt, stecke ich Briefe in Flaschen und hoffe das Meer schluckt mit ihnen den Schmerz, den ich fühle, wenn mir bewusst wird, dass ich niemals deine Hand halten werde, deinen schönen Mund auf meinen Lippen spüren werde, du mir niemals in die Augen sehen wirst, um mir zu sagen, dass auch du mich liebst.

Musste ich wirklich über 10000 Meilen reisen um dies zu erkennen?

Mir scheint, als ob hier kalter Wind weht.

In Liebe

Leon


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                        

Niongo, 9°45' Ost, 2°31'Süd, 15.05., 19:04

Liebe Sophia,

Diesmal bin ich auf keiner Insel, sondern auf dem Festland von Gabun, genauer gesagt auf einer Landzunge, welche der Küste vorgelagert liegt.

Ich habe einen langen Spaziergang hinter mir. Im Norden dieser Halbinsel fand ich die Reste eines Gebäudes, das einmal so etwas wie ein Leuchtturm gewesen sein muss.

Lange stand ich dort und schaute in die Trümmer, bis mir klar wurde, dass es auch die Trümmer sein könnten, die mein Licht nach Hause beherbergten. 

Wenn, dieses Schiff mein Leben darstellt, und der Leuchtturm den Fixpunkt, zu dem ich immer wieder zurück kehrte und dessen Licht mir Richtung und Ziel vorgab, so hat Leonie diesen Turm zerstört.  Vielleicht war ich Anlass, oder bereitet die Axt vor, dennoch, dieses Licht welches mich führte, meinen Weg das letzte Jahrzehnt bestimmte, ist erloschen, und ich weiß heute, dass es nie wieder leuchten wird.

Das Schiff hat kein Ziel, keine Orientierung, und auch ich, als Kapitän, habe kein Ziel mehr. Nur noch eine Pflicht meinen Kindern gegenüber, die zu erfüllen mir meine Liebe zu ihnen gebietet, doch es schmerzt, denn ich werde dabei wieder Leonie begegnen und mit jedem Tag wächst mein Ärger, mein Unmut.  Dieses Lügen, all die Monate haben das Wichtigste zerstört, das zwei Menschen miteinander haben können - Vertrauen.  Ich möchte sie nicht hassen, dafür, dass sie das Licht meines Lebens durch Lüge und Betrug zerstörte, doch es wird mühsam werden mich zusammen zu nehmen, - um der Kinder willen.

Und segle ich ziellos, auf der Suche nach einem neuen Leuchtturm, an dem ich mich ausrichten kann, der mir die Sicherheit gibt immer wieder Land zu erreichen.

Nun, eigentlich nicht ziellos, denn es gibt ein Feuer, das bereits leuchtet, eines, das ich ansteuern möchte....

Aber ich weiß, es leuchte nicht für mich, nicht für die "Spirit of Ahab", noch nicht, - nie?

Ich erinnere mich an ein Gedicht von Rilke,

Der Panther

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
 
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
  
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

Es drückt aus was ich fühle, was in mir vorgeht, wenn ich an die vergangenen Monate denke, an Leonie, an das Leben mit ihr, das ich nie mehr haben werde, an den Verlust meines Heimes.

Doch dann, immer, kommst du mir in den Sinn, in meine Gedanken, erfüllst du mein Herz mit deinem Bild. Und ein anderes Gedicht erfüllt mein Denken, die wunderbaren Worte von Gioconda Belli durchdringen mich und machen mich dich lieben ohne Ende.

 
Welle sein 
schäumend im sanften 
Murmeln deines Blutes 
 
Dämmern am Rand deines Seins 
kauern, das Haar zerfließend an deiner Schulter 
gehalten vom Streicheln deiner Hand 
 
Sprachlos flüstern 
längstgesagter Worte 
altbekannt seit der ersten Paarung 
eines Mannes und einer Frau 

die einer im anderen 
die Welt entdecken. 
 
Sanftes Tier sein 
das dich sucht mit offenen Augen 
und denkt das Leben ist schön 
und stark und unerwartet neu. 

Und ich weine vor Glück, Glück, das nur in meinen Gedanken existiert, gedachtes Glück, und doch intensiver als alles, was bisher meinen Körper, meine Seele durchdrang.

In Liebe

Leon


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                        

Baia dos Tigres, 11°44' Ost, 16°36'Süd, 11.06., 06:01

Liebe Sophia,

Fast ein Monat und über 1000 Meilen sind verstrichen seit die letzte Flasche ihre Reise im Atlantik begann. Mittlerweile habe ich jedes Gefühl für Zeit verloren. Schon lange warst du nicht mehr in meiner Nähe, und ich vermisse dich. Nur einmal konnte ich dich kurz sehen, doch ich konnte nicht erkennen, ob du lächelst, Ich habe Angst, du könntest einfach nicht wieder kommen. Ich denke jeden Tag an dich und hoffe, meine Gedanken mögen dich erreichen.  Vielen Menschen bin ich begegnet und  habe sie in mein Herz geschlossen. Komisch, früher konnte ich das nicht, oder wollte dies nicht zulassen, doch nun erfüllt es mich mit Freude.  Damals, als ich jeden Tag weinte, weil mich die Erinnerungen das was geschehen war nicht los ließen, wünschte ich dich so sehr an meiner Seite, doch zu der Zeit warst du irgendwo weit weg.  Damals, als ich die Frau hatte, die ich mir immer wünschte, und dennoch nicht mehr als einen Menschen, der mir das gab, was ich so gern mit dir erfahren hätte,  war ich noch nicht frei genug, zu versuchen dich zu erobern. Irgendwie habe ich das Gefühl, als ob du meine Briefe gelesen hast, und dennoch kommst du mir nicht näher.

Ich weiß nicht, ob du mir jemals näher sein wirst als in meinen Gedanken, meinen Träumen. Manchmal bin ich böse auf mich, weil ich es zugelassen habe mich in eine Frau zu verlieben, sie zu lieben, obwohl ich wissen musste, dass es keine Hoffnung gibt.  Trotz Allem ist es eben jene Hoffnung, die mich leben lässt, die mir die Freude gibt, die man zum Leben braucht.

Ich erinnere mich, dass ich jeden Tag die Straßen abgesucht habe, nur um zu sehen, ob dein Wagen da ist, mich freute, wenn ich ihn sah und enttäuscht war, wenn du nicht in der Stadt warst. Wenn du nicht da bist, dann warte ich, die Sekunden werden zu Minuten, die Minuten zu Stunden, die Stunden zu Tagen und schließlich es gibt keine Zeit mehr, nur mehr die Sehnsucht, die Alles trägt, was ich tun muss.

Irgendwann sehen wir einander, du fragst wie es mir geht, und meine Stimme versagt, die Worte die ich sagen möchte, die ich in Gedanken schon so oft gesagt habe, wandeln sich in den Schmerz, den ich verspüre, wenn mir bewusst wird, dass diese Liebe keine Erwiderung erfahren wird. Fast sprachlos schüttle ich den Kopf und fliehe vor meiner Feigheit. Ich nehme mir vor, das nächste Mal wenn du fragst mit den Worten "Ich liebe dich" zu antworten, doch irgendwie passt es einfach nie. Ist es Etwas in deinem Blick? Ist es Etwas in mir? Ich weiß es nicht, wusste es nie, nur Traurigkeit umfing mich danach immer.

Vielleicht, wenn du mich noch einmal fragst...

In Liebe

Leon


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                        

Kap der guten Hoffnung, 18°29' Ost, 34°21'Süd, 25.07., 12:17

Liebe Sophia,

Lange habe ich keinen Brief mehr verfasst. Ziellos segelte ich an der Westküste Afrikas. Aus den 1300 Meilen von Baia dos Tigres zum Kap der guten Hoffnung wurden über 2000 Meilen, die ich zurückgelegt habe. Und immer noch habe ich keinen Weg zu dir gefunden, habe noch keine Klarheit in meinen Gedanken.  Bis auf die Liebe zu Dir, meine Sehnsucht nach dir, gibt es kein Gefühl, keine Emotion, keinen Gedanken, der von Dauer wäre. Flüchtig, wie ich, so weht der Wind des Lebens mich über die Meere, und so sehr ich auch suche, kein Hafen erscheint mir wert zu bleiben, gibt mir den Frieden zurück, der früher in mir war.  Aber es gibt "Hoffnung" für mich, denn langsam verstehe, begreife ich, dass es nicht reicht zu lieben, oder geliebt zu werden, um glücklich zu sein. Für ein paar Monate vielleicht, doch irgendwann wünscht man sich ein Zeichen, eine Geste, eine Hand, einen Arm der einen hält.

Ja, ich bin ein alter Mann geworden, in der Zeit der Dunkelheit, habe ein paar graue Haare bekommen, aber auch wieder Lust am Leben.  Lust mich zu verlieben, Lust andere Menschen kennen zu lernen, Lust auf mehr, als das was ich hatte. Vielleicht suche ich aber auch nur nach einem Menschen, der mich in den Arm nimmt, der mich hält,  bei dem ich einfach nur weinen kann, wie ein Kind. Ich könnte es, bei meiner Mutter, doch für sie wäre dieser Schmerz zu groß, denn sie liebt mich und Leonie.

Ich frage mich immer wieder, warum ich es war der belogen wurde, Es gibt ein paar Dinge in meinem Leben, auf die ich besonders zufrieden zurückblicke. Eines davon ist, - auch, wenn es für manchen anderen Menschen, auch Leonie, nicht immer leicht war, - meine Ehrlichkeit.  Warum wurde gerade ich so lange belogen?

Viele Leute fragen einen, wie es einem geht, und erwarten zu hören, dass alles bestens sei. Sag ihnen, die Wahrheit, sag ihnen, es geht dir nicht gut und sie wenden sich ab, wollen nicht "infiziert" werden mit Leid,  Und von den Wenigen, die zuhören, meiden dich danach fast alle.

Vielleicht wissen sie auch nur nicht, was sie sagen sollen,  oder wollen sich nicht wieder erkennen, wollen vor sich selbst fliehen. Kann ich es ihnen verdenken, wo ich doch selbst auf der Flucht vor mir bin?

Du hast oft gefragt, wie es mir geht,  vielleicht hätte ich einfach nur sagen sollen: "Gut,  - hast du Lust etwas zu unternehmen?"

Aber ich kann und will nicht sein, was ich nicht bin. Das macht oftmals einsam, doch, die Menschen, die wiederkommen, die dich auch ein zweites Mal in den Arm nehmen, für die und wegen denen war es wert sich selbst gelebt zu haben. 

Und ich hoffe immer noch vergeblich auf deinen Arm...

In Liebe

Leon


The Spirit of Ahab .


Leon Aslan, Captain

                         

Mapondo, 32°55' Ost, 26°1'Süd, 1.08., 22:48

Liebe Sophia,

Mocambique ist ein ruhiges Land, mit netten Menschen und hier fühlte ich mich gleich wohl.  Portugiesisch geprägt, mit guten Häfen und Kokospalmhainen.  Der größte Teil der Bevölkerung ist jünger als 35 Jahre,  und ehrlich gesagt, älter empfinde ich mich auch nicht hier.  Ich werde morgen nach Maputo, der Hauptstadt, segeln, denn ich möchte wieder unter Menschen sein, vielleicht ein gutes Zeichen. Wenn ich jedoch genauer in mich hinein horche, dann höre ich eine Stimme die sagt: "Bleib hier:"  Es wundert mich, doch ich überlege ernsthaft der Stimme zu folgen, und in der Heimat alles hinter mir zu lassen, für immer fort zu gehen, doch auch das würde mein Verlangen  nach dir nicht mindern.

Doch eines habe ich in den letzten Tagen begriffen, erkannt, dass es für mich und Leonie keine Zukunft geben kann. So schmerzlich die Erkenntnis nach 19 Jahren auch sein mag, so kann ich dir endlich, unbelastet von irgendwelchen Gefühlen zu Leonie, sagen, dass ich dich liebe, - wenn ich dich wieder sehen sollte, - und, wenn ich mich überwinden kann.

Wenn? Ich weiß genau, ich werde es nicht tun.  Weißt du, Sophia, es ist schon verrückt mit mir, und ich verstehe es selbst nicht, warum es mir so schwer fällt mich dir zu erklären, nicht nur dir, sondern auch anderen Menschen, die ich gerne mag.  Ich kann meine Worte so leicht in Briefe schreiben, doch so schwer über meine Lippen bringen.

Ich erinnere mich an den Abend, an dem ich dir von der Trennung von Leonie erzählte. Eine Sommernacht, wie gemacht für ein paar Sätze der Liebe.  Es war einer der komischten Tage, die ich je erlebt hatte.  Zuerst wurden Leonie und ich uns einig, dass eine Trennung unvermeidlich ist und dich hatte ich schon tagelang kaum gesehen. Eigentlich wollte ich an dem Abend früh ins Bett und den Tag vergessen. Dann sagte wer, ich solle doch mitkommen zum Fest und dass du auch mitkommen würdest.

Ich kann dir kaum beschreiben, was ich in dem Moment fühlte. Mein Herz begann zu rasen, für einen Moment dachte ich, dass mir jeder rundherum es in meinem Gesicht lesen konnte, dass meine Gedanken sich nur mehr um dich drehten. Und dann hatte ich, als wir ankamen die Worte in meine Gedanken, und als du mich mir dein Lächeln zuwandtest war ich wieder der schüchterne Fünfzehnjährige, der keinen Ton von dem herausbrachte, was ihm auf der Zunge brannte.  Die ganze Nacht lang schaffte ich es nicht dir zu sagen, was ich für dich schon seit Monaten empfunden habe, freute mich nur, dass du fröhlich warst, dass es dir gut ging. Wir sprachen ein Wenig miteinander,  - es war der schönste Tag seit Langem für mich.  Da trennte ich mich eben noch endgültig von der Frau, die ich 19 Jahre lang mehr als alles Andere geliebt hatte und schon kurz danach war ich mit drei der vier Menschen zusammen, die ich in dieser Stadt am meisten mochte ...

Ein wirklich komischer Tag...

In Liebe Leon


 

Diesen letzten Brief , nach sechsjähriger Reise, verdanke ich einer Frau und ihrer Umarmung

 

The Spirit of Ahab .

Leon Aslan, Captain

                        

Irgendwo in Europa, sechs Jahre später

Liebe Sophia,

 

Seit Jahren kein Brief mehr von mir.  Nein, es war nicht, dass ich mich nicht nach dir sehnte, doch ich erkannte wohl, dass du unerreichbar warst und für immer sein wirst.

Und doch es war die Hoffnung dir doch einmal nahe zu kommen, die Hoffnung, dass unsere Arme einander umschlingen..

Liebste, Sophia, es wird Zeit für mich endgültig wieder an Land zu gehen, denn du wirst nie zu mir gehören, nie meine Liebe erwidern können, du bist das Ideal, doch ohne Substanz.

Und obwohl ich in der Zwischenzeit Frauen liebte, obwohl sie dich nicht erreichten, war meine Sehnsucht immer bei dir. Vielleicht hätte ich diese Frauen nicht lieben sollen, vielleicht warten, bis du kommst, doch vielleicht hätte ich dann nicht das gefühlt, was ich vor Kurzem fühlte.

Es war, was ich mir von dir ersehnte, nur eine Umarmung und doch so viel mehr als das, viel mehr als ich in meinen Gedanken je mit dir erleben durfte. Es war real und es war spürbar. Es war wie heimkommen nach einer langen Reise, einer langen Suche...

Sophia, es ist an der Zeit Abschied zu nehmen, und es scheint all die Jahre in denen du in mir warst, mehr oder weniger, als mein heimliches Sehnen waren nicht vergebens. Good bye Sophia, es war schön mit dir, doch die „Spirit of Ahab“ hat ihre Pflicht erfüllt, und ihr Kapitän, Leon, hat Land entdeckt.

Ich weiß noch nicht, ob es das Land ist auf dem ich bleiben kann, das Land auf dem ich neue Freunde finden werde, ob die Umarmung, die mich dort so gefangen nahm, jemals werden wird, was ich in ihr sah, doch, Sophia, wie auch immer, es gibt Land, und es ist mein Land, das weiß ich nach all den Jahren auf See und in Hütten, die nicht meine waren, in denen ich dich suchte und nicht fand.

Ich hoffe aber ich habe Gelegenheit das Land zu erkunden, es mir vertraut zu machen und mit ihm die Frau die ich an diesem Strand traf, deren Umarmung mich fühlen ließ, wie sehr ich dich suchte, in all den Jahren und mich erkennen ließ, dass du es nicht sein kannst, dass es dich wirklich gibt, geben kann, aus Fleisch und Blut – dein Lachen, es ist da, in ihr.

Sophia, es wird ein Abschied für immer, - was auch immer an dieser Küste geschieht oder nicht, ich weiß jetzt, dass es dich nicht  auf See gibt, dass du auch an Land lebst, fühlbar, greifbar, nah, wirklich und schöner als in meine Träumen, lebendiger und mutiger, stärker und vor allem frei.

Und wer weiß, vielleicht rieselt irgendwann der Sand von Sombrero über mich und die Sonne von Tobago geht auf...

Lebwohl

Leon.